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Hörfunk

Verlust der Angstlust

"Wie Jakub, mein Vater, sich von uns wegverwandelte", Ein Familien-Drama, den "Zimtläden" und anderen Erzählungen von Bruno Schulz nacherzählt (Hörspiel am Mittwoch, hr 2, 18.2.1999, 20.30 – 22.30 Uhr)
Regie: Heinz von Cramer. Regie-Assistenz: Christoph Müller
Ton Martha Seeberger. Schnitt: Birgit Vollmer

epd   Das Werk des polnischen Schriftstellers Bruno Schulz (1892 – 1942) hat sich bei uns nicht durchsetzen können. Obwohl es gern in der Nachfolge Kafkas situiert wird, obwohl immer neue Ausgaben und Adaptionen seiner Erzählungen und Romane bei uns lanciert werden, blieb er eine Randerscheinung. Fragt sich, woran das liegen mag. Vielleicht kann Heinz von Cramers Hörstück "Wie Jakub, mein Vater, sich von uns wegverwandelte", eine Antwort darauf geben.

Der renommierte Hörspielmacher Heinz von Cramer (geb. 1924), der seit 1952 in Italien lebt, hat aus den "Zimtläden" (1934) und anderen Erzählsammlungen ("Das Sanatorium zur Todesanzeige"; "Die Mannequins") von Bruno Schulz ein "Familien-Drama" für den Funk entwickelt. Ohne die zugrundeliegenden Texte allzusehr zu strapazieren und zu beugen, ist es ihm gelungen, dabei eine Fabel, eine folgerichtige Geschichte vom Verschwinden des Vaters aus der Familie zu erzählen.

Der Vater (gesprochen von Horst Bollmann) will als kauziger, verrückter Mann vorgerückten Alters in Konkurrenz zum Demiurgen treten. Er möchte Leben in die Materie blasen, selbst wenn nur unvollkommene und flüchtige Wesenheiten dabei entstehen. Er beginnt, mit Vögeln zu experimentieren und eine wahre Drachenbrut heranzuzüchten. Im Dachstuhl zieht bald ein Gestank von ätzendem Vogelkot und hornigen Substanzen herauf, daß selbst Goethes Eckermann sich gegraust hätte. Vergeblich versucht der Vater, mit seinen gefiederten Geschöpfen aufzufliegen, als Adele, die Magd, den zum Saustall degenerierten Dachstuhl energisch ausmistet. Eine knisternde Erotik liegt über ihrem "Vernichtungstanz", ihre "jungen und kühnen Bewegungen" treiben den alten Herrn zu immerneuen Orgasmen. Die immer leicht spöttische, schwungvolle, ironisch intonierte Stimme von Gabriela Maria Schmeide stiftet einige der raren komischen Sequenzen des Hörspiels. Hier hätte selbst der geniale Alterserotiker Thomas Mann aufgemerkt.

Das seltsame Tun des Vaters spiegelt sich vor allem in den Kommentaren der Mutter/Ehefrau (Grete Wurm) und des Sohnes. Der Sohn, gesprochen von Werner Wölbern, hat etwa in der Mitte des Hörstücks einen eigenen längeren Text zu sprechen, quasi eine Erzählung in der Erzählung. Der Sohn, der für die Eltern eine Besorgung machen soll, verliert sich im Gassengewirr der Vorstadt und landet in der berüchtigten Krokodilgasse, dem "Zugeständnis unserer Stadt an [...] die großstädtische Verderbtheit". Er beobachtet die Prostituierten ("Es könnten aber auch die Ehefrauen von Friseuren und Stehgeigern sein") und kehrt erst im Morgengrauen nach Hause zurück – ein Morgengrauen, das kein Erwachen bringt, sondern das, was seine Wortgestalt verheißt.

Traum oder Wirklichkeit? Heinz von Cramers Inszenierung wird nicht müde, diese Frage zu thematisieren. Vor allem tut sie das mit akustischen Mitteln. Da ist zum einen die Führung der Sprecherstimmen: Cramers Strategie scheint es zu sein, das Unheimliche der dargestellten Welt durch ein unheilvolles Stimmengeraune zu evozieren. Ähnlich ist es mit der Klangkulisse aus Klezmermusik, Vogel- und Bläserstimmen, ätherischem Mädchengesang, Geräuschen des Alltags (knarrende Dielen, Glockengeläut, das Pfeifen und Zischen von Lokomotiven, das Surren der Nähmaschine, das Schlagwerk der Standuhr usw.) und den Gewehrsalven, die vielleicht vom Schtetl herüberschallen.

Heinz von Cramer hatte sich viel vorgenommen: "Wie, um Himmels willen, in der akustischen Übertragung diese Welt zum Leben erwecken, diese versunkene, vernichtete faszinierende Welt der polnisch-jüdischen Kultur, die Welt des Schtetls eben? Es ging ja nicht nur darum, aus der Fülle der phantastischen Episoden eine halbwegs erzählbare Geschichte herauszuschälen. Um den ganzen Hintersinn eines solchen Vorgangs erkennbar zu machen, so grotesk wie tragisch, so grausig wie komisch, muß er [Bruno Schulz] wohl innerhalb seiner Umwelt dargestellt werden, der Welt der Pogrome, der Unterdrückung, der Notwehr, des ewigen Juden Ahasver."

Es wäre schön gewesen, wäre dieses Vorhaben gelungen. Das Genie Kafkas besteht unter anderem darin, daß er den Schrecken auf erregende, zugleich lustvolle Weise zu vermitteln weiß. Oft gibt eine unerhörte Komik seinen Texten Dynamik und Relief. Vielleicht fehlt diese innere emotive Spannung den Texten von Bruno Schulz – dem Hörspiel fehlt sie ganz entschieden. Die Inszenierung Heinz von Cramers wirkt flach, langatmig, spannungslos. Der relativ große Pool der verschiedenen Stimmen und Geräusche ist nicht dazu genutzt worden, jene prickelnde "Angstlust" zu transportieren, jene Spannung aus Tragik und Komik, von der Cramer spricht und aus der die besten Holocaust-Erzählungen ihre Kraft beziehen. "Jakob der Lügner", der Roman von Jurek Becker, wäre ein Beispiel für diese spezifische Qualität, die sich auch in jedes andere Medium, ob Hörspiel oder Fernsehfilm, übersetzen läßt. Es gibt Ansätze in dieser Inszenierung, der fehlenden Dynamik durch leicht-beschwingte, ironisch intonierte – dann aber auch wieder chaotisch überinstrumentierte – Bläserstimmen beizukommen. Doch es bleibt der Eindruck, der zum Beispiel auch allen Kafka-Verfilmungen eignet: daß sich ein Werk und seine Transponierung in ein anderes Medium nicht vertragen. Hinzu kommt, daß diese Inszenierung den Hörer gängelt: Er, der schon längst verstanden und ja und amen gesagt hat, wird von einem sogenannten "Worteverwalter" (gesprochen von Walter Renneisen) durch überflüssige Erklärungen, Mutmaßungen und Deutungen belästigt. Der Worteverwalter bietet (wie übrigens auch Mutter und Sohn) Erklärungen für das Unerklärliche an, und sei es, daß er nur rhetorische Fragen stellt, die verschiedene Interpretationsmöglichkeiten nur nahelegen. Er betreibt eine Metaphorisierung und Mythisierung, die dem Höreindruck entschieden schadet. Diesen Ballast schleppen vermutlich schon die Texte von Bruno Schulz mit sich, doch hatten sie damals – zu Beginn der nazistischen Schreckensherrschaft veröffentlicht – eine andere Funktion. Hier haben sie keine mehr.

Lutz Hagestedt

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