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Kritik Hörfunk

Letzter Aufguß

"Bless My Soul", Hörspiel von Lee Hall, Regie: Ulrike Brinkmann (hr 1; Hörspiel am Montag, 30.3.1998, 20.30 – 21.30 Uhr)

epd Eine kleine kaputte Familie in England: Vater, Mutter, Kind und Großmutter. Der Vater ist seit einem Verkehrsunfall gelähmt und sprachlos, "achtunddreißig Jahre alt und Schrott". Die Mutter, Englischlehrerin, ebenfalls 38 und eigentlich "noch immer eine junge Frau", greift immer öfter zur Flasche. Die Tochter, vierzehn, tut nichts anderes mehr als kochen, essen und zunehmen. Die Großmutter ergeht sich in Handarbeiten und moralischen Appellen. Und Bill schließlich, der Freund der Mutter, läßt sich in einer schwachen Stunde von der 14jährigen Gillian (gesprochen von Jenny Antoni) verführen.

Lee Hall, geboren 1966 in Newcastle Upon Tyne, hat ihr Hörspiel nach einem bekannten Elvis Presley-Titel benannt: "Well, bless my Soul, what´s wrong with me" – "Was, um Himmels willen, ist los mit mir", was läuft schief, was mache ich falsch?

Die Verhältnisse waren schon vor Dads Unfall nicht die besten: Dad, ein ehemaliger Elvis-Impersonator, der sich nun nicht mehr artikulieren kann (so daß sein Sprecher Ingo Hansen sich aufs Atmen, Schnaufen, Stammeln verlegen muß), hat seine Frau geschlagen. Jetzt muß er hilflos mitanhören, wie sie ihn unter seinem eigenen Dach betrügt. Auch Gillian, die Tochter, leidet unter den zerrütteten Verhältnissen. Die Wut von damals, als ihr Vater die Mutter zusammenschlug, beschäftigt sie noch immer: "Heute hatte ich diese Gedanken, weißt du. Jemandem richtig wehzutun. [...] Ich hätte euch am liebsten alle kleingehackt." Sie läßt ihren Zorn an Stanley, der Schildkröte aus, und serviert ihn/sie – "vollkommen gaga" – der Familie als afrikanische Spezialität.

Die junge englische Autorin Lee Hall ist eine Trittbrettfahrerin. Es hat sich bis zu ihr herumgesprochen, daß die Kochkunst ein guter Katalysator für schwelende Konflikte ist. Noch immer passieren die meisten "Unfälle" im Haushalt. Viele Autoren sind dazu übergegangen, die dramatischen Kochrezepte aus ihren dickleibigen Romanen auszukoppeln (die vielfach nur der Rezepte wegen so üppig ausgefallen sind), auch andere Prominente drängen ungenießbar auf den Markt, wie neuerdings Fergie, Weight-Watcherin und Herzogin von York. Am sinnlichsten und originellsten ist da noch der Film: Peter Greenaway überzeugte mit "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" (1989), und Ang Lee bezauberte durch seine taiwanesische Variante "Eat Drink Man Woman" (1994).

In Lee Halls Hörspiel ist der letzte schwache Aufguß all dieser durchgekauten Sujets erreicht. Ihr Stück ist harmlos, spannungslos, nachgerade britisch-höflich und zurückhaltend selbst dort noch, wo die Fetzen fliegen müßten. Für Ulrike Brinkmanns Inszenierung aber wirkt sich diese Zurückhaltung angenehm positiv aus. Sie läßt es in der Stimmenführung bei feinsten Nuancierungen bewenden. Das rauchig-versoffene Timbre von Mam (Miriam Goldschmidt) klingt angemessen resignativ, die tumbe Gutmütigkeit des Hausfreundes Billy (gesprochen von Roland Bayer) wirkt paßgenau abgeklärt, die Geräusch- und Musikkulisse (ein paar Elvistitel, etwas Küchen- und Besteckgeklapper) wird sparsam und knapp aufgebaut. Es ist geradezu vorbildlich, wie wenig Aufwand hier getrieben wurde, um Handlung und Figuren in Gang zu halten.

LUTZ HAGESTEDT

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