Goethe ist unserDas Lesebuch von F. W. Bernstein und Eckhard HenscheidVon Lutz Hagestedt Ein wichtiges Kriterium für den Rang eines Dichters ist, ob er irgendwann zum "Volksvermögen" gehört, ob seine Gedichte vertont und gesungen, memoriert und in den Universitäten analysiert werden, ob sie es zum "Smash-Hit der Saison" und anschließend zum "Evergreen" bringen, ob sie eine produktive Auseinandersetzung mit dem Werk entfachen. Gemessen daran nimmt Goethe zweifellos eine Sonderstellung ein. Sein Leben, seine Person, sein Œuvre haben unerhört viel Zuspruch und Widerstimmung ausgelöst. Mit den Nachdichtungen, Paraphrasen und Parodien von "Wandrers Nachtlied" ("Ein Gleiches") etwa oder der Ballade vom "Erlkönig" lassen sich umfangreiche Anthologien füllen. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk füllt ganze Bibliotheken und hat sonderliche Blüten getrieben. Goethes Person war schon den Zeitgenossen beliebtes Gesellschaftsthema, in Briefen, Tagebüchern, Gesprächen (Eckermann) finden sich Äußerungen zuhauf, aber auch in Rezensionen, Essays, natürlich Biographien, selbst in Gedichten, Novellen, Romanen und sonstigen Textsorten ("Die romantische Schule") ist Goethe reich vertreten. Die Parodien kitzeln das typisch Goethesche wunderbar heraus; die Lesefrüchte aus den Briefwechseln zeigen das Formelhafte in der Beziehung Goethe – Schiller ("Der Grüß-Meyer"); die Stellungnahmen der Politik offenbaren die intellektuelle Dürftigkeit und sprachlose Vergeblichkeit, in West wie Ost, den Klassiker für die eigene Weltanschauung zu vereinnahmen. Die zahlreichen Bildbeigaben, Spätfolgen der urkomischen Physiognomik, münden in Bildergeschichten, Bildgedichte und Cartoons ("Goethe spielt Flöte / auf Schiller sein Piller"). "Unser Goethe", das von F. W. Bernstein und Eckhard Henscheid zusammengestellte Werk, ist aus Anlaß des 150. Todestages 1982 erstmals erschienen und nun erneut durchgesehen worden. Er lehrreiches, amüsantes, hilfreiches Buch, ein Vademecum, das in keiner guten Hausbibliothek fehlen sollte. Die Fülle des Materials ist überwältigend, die Konzeption überzeugend, die innere Ordnung streng und leitend, so daß man wirklich sagen kann: Hier ist Goethe unser. F. W. Bernstein / Eckhard Henscheid: Unser Goethe. Ein Lesebuch. |