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Der Medien-Maniac

Alexej Schipenkos Erstling

ALEXEJ SCHIPENKO: Das Leben Arsenijs. Roman. Aus dem Russischen von Sergej Gladkich und Franziska Seppeler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1998. 316 Seiten, 44 Mark.

Russische Literatur, denken wir da nicht immer noch: "Aufzeichnungen aus einem Kellerloch"? An Moskau und Sibirien, an Wodka und Delirien? Nicht so Alexej Schipenko: Der 1961 in Stawropol geborene Wahlberliner orientiert sich eher an den Erzählweisen der amerikanischen Soap-Operas, an den Running Gags und Tragedies der Sitcoms, an den Imagines unserer Pop- und Trashkultur, am Zapping und an den schnellen Cut ups.

Arsenij, ein analfixierter Exilrusse, lebt als literarischer Wechselbalg in New York. Er ist ein Medien-Maniac mit einem Handicap: Seine Wahrnehmung ist vollständig justiert und gefiltert durch Film, Literatur und Musik, ist modelliert nach den kommunikativen Schnittmusterbögen, die unser Weltbild bestimmen. Er kann nicht vor der Glotze hängen, ohne das Bildschirmgeschehen vorherzusagen. Er gleicht jenem Splatter- und Slasherfilmkenner in Wes Cravens Kinohit "Scream", dem die Vertrautheit mit dem Genre und seinen Spielregeln das Überleben sichert. Auch Arsenji schlägt Kapital aus seinen präzisen Prognosen. Und am Ende des Romans kehrt er via Deutschland nach Rußland zurück, wo er sich wie der Hl. Alexios im Hause seines Vaters verehren läßt.

Schipenkos Roman ist das Ergebnis eines multikulturellen Synkretismus. Schipenko selbst ist Vertreter einer neuen russischen Erzählergeneration, die sich am Westen orientieren, ohne ihre Herkunft zu verleugnen. Ein Anhang mit Verzeichnissen der wichtigsten Referenztexte, Filme und Soundtracks macht dies augenfällig. Der Roman, heißt es in einem "Schlußwort", habe aus wirtschaftlichen Gründen Fragment bleiben müssen, "abgebrochen in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1996 in Stuttgart, Akademie Schloß Solitude". Dieses Fragmentarische aber ist die eigentliche Basis seiner virtuosen Ikonographie.

LUTZ HAGESTEDT

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