Gutzkow-RenaissanceKARL GUTZKOW: Die Selbsttaufe. Erzählungen und Novellen. Herausgegeben von Stephan Landshuter, Nachwort von Wolfgang Lukas. Verlag Karl Stutz, Passau 1998. 416 Seiten, 45 Mark. Gibt es eine Gutzkow-Renaissance? Das Forum Vormärz-Forschung kündigt im Bielefelder Aisthesis-Verlag eine 1200 Seiten starke Gutzkow-Bibliographie von Wolfgang Rasch an, bei Zweitausendeins erscheint im Dezember eine vollständige Neuausgabe der "Ritter vom Geiste", Rolf Vollmann will im Januar den Dreitausendseitenroman "Der Zauberer von Rom" (1859/1861) als 350seitige Collage vorlegen, und soeben haben Stephan Landshuter und Wolfgang Lukas einen Band mit vier Erzähltexten herausgegeben, die bereits den ganzen Gutzkow in einer Nußschale enthalten. Von Karl Gutzkow (1811 1878) sind ansonsten gerade mal zwei Sachen lieferbar, ein Panorama der Residenzstadt Berlin, sowie "Wally, die Zweiflerin", sein wohl bekanntester Roman (von 1835), der ihm eine Gefängnisstrafe wegen "verächtlicher Darstellung des Glaubens der christlichen Religionsgemeinschaften" einbrachte. Ob Karl Gutzkow "eins unsrer wirklichen Genies war" (Rolf Vollmann), muß hier nicht entschieden werden, seine wichtige Stellung in der Übergangsphase von der späten Goethezeit zum Jungen Deutschland und zum Biedermeier ist jedenfalls evident, wenn man diese kluge Auswahl zugrunde legt, die das uvre auch in seiner diachronen Entwicklung zeigt. Der früheste Text dieser Edition, "Der Sadducäer von Amsterdam", stammt aus dem Jahre 1834, der älteste, "Die Nihilisten", von 1856. Typisch goethezeitlich ist die Kontingenz von realer und imaginierter Realität, das Konzept der Bildung der Person oder die Gestaltung von Bergwerken, Höhlenräumen und unterirdischen Märchenwelten. Typisch biedermeierlich ist die Darstellung von Ehegeschichten und die spezifische Thematisierung der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Geldwirtschaft, deren Prinzipien und Verkehrsformen sich die Autoren offenbar nicht erklären können. Die umwälzenden sozialen Prozesse der Zeit werden daher gern im Bilde des Glücksspiels dargestellt ("Imagina Unruh", 1849). Gutzkow, der in seinem Spätwerk, dem neunbändigen "Zauberer von Rom" eine "Darstellung des Katholizismus" liefern wollte, hatte schon in seiner jungdeutschen Phase vorgeführt, wie nach Auffassung der Zeit Denken, Glaube, Konfession die Einheit der Person stören oder gar zerstören können. Zurecht hebt das Nachwort den feinen psychologischen Blick des Autors hervor: Gutzkow schildert Figuren, die lernen müssen, zwischen den Ansprüchen autoritativer Strukturen (gern im Bilde des Vaters oder Ehemanns dargestellt) und der Bewußtwerdung und Verwirklichung eigener Wünsche und Ziele zu vermitteln was gelingen kann, wie im Falle der Imagina Unruh, oder scheitern muß, wie bei der masochistisch-resignativen Agathe in "Die Selbsttaufe" (von 1846). Arno Schmidt jedenfalls, der sich in der Literatur des 19. Jahrhunderts gut auskannte, adelte Gutzkow mit einem seiner berühmten Funkportraits. Auch das ist heute noch hörens- bzw. lesenswert. LUTZ HAGESTEDT |