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JÖRG CHRISTIAN FAUSER

* 16.7.1944 Bad Schwalbach / Taunus
+ 17.7.1987 auf der A 94 bei München-Hohenbrunn

LITERATUR ZUM AUTOR

W. Mathes, Die letzte Runde (in Metropolitan, Sonderheft 1, 1989, S. 134 – 137). – Beiheft zur Jörg Fauser Edition, hg. C. Weissner, Ffm. 1990. – L. Hagestedt, Ein paar Seiten für die Unsterblichkeit (in SZ, 20.6.1990). – W. Roth, Die Aktualität des Außenseiters (in FR, 8.12.1990). – L. Tantow, J. F. (in KLG, 40. Nlg., 1992). – A. Shaheen, Gier nach Leben (in Das Sonntagsblatt, 11.7.1997). – T. Betz/K. Schneider, Der Wilde mit seiner Maschin´ (in SZ, 17.7.1997).

Der Schneemann. Roman (1981)

Der Kleinkriminelle Siegfried Blum hält sich mit dem Verkauf harmloser Porno-Hefte über Wasser. Durch Zufall kann er einem international agierenden Drogenkartell fünf Pfund Kokain abjagen. Fünf Pfund reinster Qualität im Werte von 720.000 Mark. Interpol und das Rauschgiftsyndikat auf den Fersen, versucht er in München, den "Schnee" abzustoßen. Doch das Milieu entspricht nicht ganz seiner Kragenweite: "Der Kokainhandel ist eine ziemlich geschlossene Gesellschaft, und das soll er auch bleiben, es ist besser für alle Beteiligten. [...] Bis jetzt haben wir nur Leute in der Branche, die einen klaren Kopf haben, und die Kundschaft dankt das unter anderem durch gute klingende Münze." Blum hat alles andere als einen klaren Kopf: er zeigt Nerven und bildet einen veritablen Verfolgungswahn aus. Es scheint so, als werde er bereits durch die Fahndungssendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" gesucht. Die Charakterisierung seiner Person im `Steckbrief´ ist ein gutes Beispiel für das von Journalismus und Kolportage geprägte `soziologische Erzählen´ Fausers: "Es handelt sich bei ihm [scil. Blum] um den in den 70er Jahren häufig hervorgetretenen Typus der akademisch gebildeten, aber im bürgerlichen Leben gescheiterten Existenz, wie wir sie vor allem in den Bereichen der Wirtschaftskriminalität, der Pornographie und des Rauschgifthandels kennen. Der Mann [...] war nach verschiedenen erfolglosen Bemühungen, wieder im bürgerlichen Leben Fuß zu fassen, im Ausland untergetaucht".

Handlungszeit des Romans ist der März 1980, wenige Tage vor Blums 40. Geburtstag. In Deutschland ist es ungemütlich kalt, und zu der Kälte kommt die Angst. Blum gerät in einen `Reigen´ übler Absteigen, mieser Spelunken, überteuerter Nepplokale. Ob dekadente Party-Kultur oder bizarrer Schamanismus – das Rauschgift scheint der geheime Code zu sein, der alle Gruppen der Gesellschaft in Bewegung setzt, die Mafia ebenso wie den BND, die Politik ebenso wie die Wirtschaft, die High Society ebenso wie die Unterwelt. Das Rauschgift dient der Weltflucht genauso wie dem weltgewandten Buisiness. Die Ein-Mann-Firma Blum aber versucht vergeblich, ihr Kokain in großen Mengen loszuwerden. Die potentiellen Abnehmer sind nicht flüssig oder nicht zuverlässig, oder Blum erscheint das Geschäft zu riskant, so daß es nie zum Abschluß kommt. Lediglich kleinere Mengen kann er unter die Leute bringen. Ruhelos und getrieben mißtraut er allem und jedem, selbst seiner Freundin Cora, so daß die Beziehung in die Brüche geht.

Fauser bindet seinen Entwurf einer pathologischen Täter-Soziographie an ein Gesamtbild der Gesellschaft zurück, indem er seinen Helden Blum in verschiedenen Milieus in halb Europa operieren läßt. Ob in der Türkei oder auf Malta, ob in Holland oder Belgien, ob in den Reihen der Polizei oder des Verbrechens – überall trifft er auf dieselben undurchsichtigen Figuren, die sich entweder selbst belügen oder "vor die Hunde" gehen. Drei Ganoven, ehemalige Gefangene des Vietcong, die den "Schnee" als Teil ihrer Rentenversicherung ansehen und von einem sorglosen Lebensabend auf einer kleinen Insel träumen, nehmen Blum schließlich seinen Stoff ab. Immerhin kommt er mit dem Leben davon.

Fausers Romanhelden, außer Siegfried Blum der Schriftsteller Harry Gelb in Rohstoff (1984), der Bergungsexperte Heinz Harder in Das Schlangenmaul (1985) und der Privatdetektiv Hezekiel Kant in Kant (1986) treten als coole, abgeklärte Typen auf, zeigen jedoch – in den entscheidenden Augenblicken – Herz und Nerven und eine tüchtige Portion Witz. Sie sind Skeptiker (der "menschliche Grundwert" schlechthin), sie operieren am Puls der Zeit und an der Grenze zur Verliererseite des Lebens. Die Romane bestechen durch ihre literarische Mixtur: Elemente aus den Genres Abenteuerliteratur und Krimi, exotisches Erzählen und Kolportage machen sie zu schnellen, spannenden Handlungsromanen. Sie würden, zusammen mit Fausers Erzählungen, Gedichten und Essays ein präzises, stoff- und ideenreiches `Modell´ der alten Bundesrepublik abgeben. Der Schneemann ist 1984 mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle verfilmt worden. Lutz Hagestedt

AUSGABEN: Mchn. 1981. – Reinbek 1983 (rororo 5081). – Hamburg 1990 (in J. F. Edition, Hg. C. Weissner, Bd. 1). Erneut Hamburg 1994 (in J. F. Edition, Hg. C. Weissner, Bd. 1-4).-

LITERATUR: H. Chr. Kosler, Rez. (in SZ, 9.5.1981). – Chr. Rotzoll, Rez. (in FAZ, 13.5.1981). – R. Becker, Rez. (in Der Spiegel, 22.6.1981). – C. Seidl, Rez. (in Sz, 29.3.1985). – B. Gräf, Der Schneemann (in Der Romanführer. Bd. XVIII. Stgt. 1987. S. 156 – 158).

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