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Lesenswert wie am ersten Tag

Zwei Neuausgaben zum zehnten Todestag Jörg Fausers (1997)

1987 starb Jörg Fauser, kurz nach Vollendung seines 43. Lebensjahres. Er starb, wie er lebte und schrieb: spektakulär. Er war einer unserer besten. Er hatte alles, was gute Literatur ausmacht: Er konnte schreiben, war ideenreich - und er hatte Stoffe. Aus Anlaß seines 10. Todestages hat der Ullstein Verlag zwei seiner Romane neu im Taschenbuch herausgebracht: den 1984 erstmals erschienenen Roman "Rohstoff" und den ein Jahr später publizierten Roman "Das Schlangenmaul".

Jörg Fausers Romane sind - zehn Jahre nach seinem Tod - lesenwert wie am ersten Tag, sie haben nichts von ihrer Spannung, von Ihrem Witz, ihrem sarkastischen Blick auf die Welt verloren. Und doch hat sich vieles verändert. Fausers Romane sind aktuell wie eh und je - und sie sind zugleich: historische Romane aus der alten Bundesrepublik geworden. "Das Schlangenmaul", der im November 1984 in Berlin spielende Roman, zeigt dies sehr deutlich, denn die Realität hat sich gewandelt: Die Mauer ist gefallen und es gibt inzwischen das Handy, das tragbare Telefon. Zwei Dinge, die an Fausers am Puls der Zeit operierenden Helden nicht spurlos vorübergegangen wären.

Fausers Roman "Das Schlangenmaul" ist prallvoll mit Geschichte, und er ist eine gelungene Synthese von spannender Unterhaltungskunst und großer Literatur. Es ist ein schneller, pfiffiger Handlungsroman mit Krimi-Elementen, und es ist zugleich eine bitterbös-satirische des Parteiinteressenstaats Bundesrepublik Deutschland, der korrupten Cliquenwirtschaft der Inselstadt Berlin und jener dubiosen New-Age-Religionen, die uns nach Strich und Faden über den Löffel balbieren wollen.

Hinter allem steht Nora, die ruchlose Exfrau eines in Parteispenden verwickelten Provinzpolitikers. Sie zieht im Hintergrund ihre Fäden, und sie ist es auch, die den Ex-Journalisten Heinz Harder anheuert, ihre verschwundene Tochter aufzufinden. Harder, Fausers Romanheld, macht mittlerweile auf Privatdetektiv und bedient sich einer speziellen "Bergungstechnik". Er ist ein liebenswerter Kauz - aber er steht auf der Looser-Seite des Lebens. Seine Bergungstechnik ist nichts anderes als jene uralte sokratische Methode, die Hebammenkunst des Sokrates. Es ist die Kunst, aus dem Homo sapien sapiens den ganzen Schleim und Dreck herauszuholen, der im Subjekt verborgen liegt und es daran hindert, richtig - und das heißt: vernünftig und ethisch zu handeln. "Ich bringe Dinge in Bewegung", sagt Harder von sich, "und Menschen". Das stimmt. Und wie Sokrates ist Harder durch Job und Lebenserfahrung zum Zyniker geworden.

Glänzend geführte Dialoge sind schon Harders halbe Strategie: Sie sind wie kleine Übungen mit Florett oder leichtem Degen, in die dann plötzlich der Säbel niederfährt und gnadenlos - und häufig gnadenlos witzig - seine Treffer landet. Treffend genau sind sie, wie die "Charakterstudien" der Figuren und der alten BRD.

Es wäre kein guter Stil, bei Romanen mit Krimielementen die Handlung offenzulegen. Aber selbst wenn man es täte: Dieser Roman ist einfach so ideenreich, subtil, so hell und schnell und widerständig, daß er es verträgt, wiedergelesen, vom Ende her neu aufgerollt zu werden. Viele winzige Spuren und Fährten, die Fauser gelegt bzw. hinterlassen hat, werden so erst sichtbar.

Jörg Fauser hatte etwas zu erzählen - und er war ein Könner in seinem Fach: selbstironisch distanziert bis in die Kolportage hinein. Das biographische Substrat seiner Schriftstellerexistenz hat er in dem Roman "Rohstoff" abgelegt. "Rohstoff" ist bei Fauser der Lebensstoff, erzählt aus der Perspektive des Junkie-Reporters Harry Gelb. Was Fauser hier erzählt, kennt er so - oder so ähnlich - aus eigener Anschauung, zum Beispiel das Drogenviertel Tophane in Istanbul, wo er einige Zeit gelebt hat. Aber die reine Anschauung würde ihm vermutlich nicht viel nützen, hätte er nicht diese Begabung, diesen präzisen, schnörkellosen Schnodderton, davon zu erzählen, von der Drogenszene, den+ Kommunarden in Berlin oder der Damenwelt der linken Schickeria. Er taucht die Lebensqual seines Helden in ein ironisches Licht, und er zeigt, paradoxerweise gerade durch diese Distanzierung, wie verdammt ernst ihm die Sucht und die Sehnsucht und die verkorksten Verhältnisse dieser Welt wirklich sind. Lest Fauser, Leute, er ist auch zehn Jahre nach seinem Tod einer unserer Besten. Ihr tut Euch selbst den größten Gefallen.

LUTZ HAGESTEDT

Jörg Fauser: Das Schlangenmaul. Roman. Berlin (Ullstein) 1997. Ullstein-Buch 24121. 272 Seiten. 14,90 DM.

Jörg Fauser: Rohstoff. Roman. Berlin (Ullstein) 1997. Ullstein-Buch 24122. 256 Seiten. 14,90 DM.

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